Weil Frieden und Gerechtigkeit das letzte Wort haben

Weil Frieden und Gerechtigkeit das letzte Wort haben

Die Bilder sind kaum zu ertragen. Eine Gruppe Menschen steht vor den Trümmern ihrer Existenz. Sie hatten gehofft und daran festgehalten, dass es Zukunft für sie noch gibt. Nun starren sie ungläubig auf das, was davon übrig geblieben ist. Unter ihnen eine Mutter; musste mit ansehen, wie das eigene Kind… Eine Ungerechtigkeit, die nicht zu ertragen ist. Der Automatismus, mit dem die Soldaten ihr Werk tun, macht so ohnmächtig. Fördert blanken Zorn. Glühende Wut. Und Furcht. Am Ende fliehen sie. Flucht vor dem, was sie nicht mehr ertragen. Fliehen vor diesem Kreuz, unter dem sie ausgeharrt hatten und mit ansehen mussten, wie der ermordet wurde, dem sie alles anvertraut hatten… dieser Christus.

Oder stammen die nicht zu ertragenden Bilder gar nicht aus der alten Geschichte von Leidensweg und Kreuz Jesu? Sind sie viel aktueller? Bilder aus den Trümmern von Mariupol und Charkiw, von Kiew und Cherson?

Die Bilder, die so ohnmächtig machen, weil die Gewalt der Mächtigen nicht einen Zoll Lebensraum mehr lässt – jede Zeit produziert diese Bilder. In jeder Zeit machen sie aufs Neue mut- und fassungslos. Fast erstickt dabei der Ruf nach Gerechtigkeit. Ich erinnere mich an das Entsetzen, das mich packte, als meine Urgroßtante von der Flucht aus Ostpreußen ʼ45 erzählte, vom Leid der Frauen; an die Trauer, die mich packte, als ich Bergen-Belsen besuchte oder von der Tötungsmaschinerie deutscher Soldaten in Babyn Jar bei Kiew las. Die Bilder von bombardierten Kinderkrankenhäusern in der Ukraine reihen sich ein in die Ketter der Passionszeiten… Seit einigen Wochen verstehe ich ein wenig besser, welche Gefühle das Volk Israel bewegt haben müssen, als Babylon vor 2600 Jahren Jerusalem zerschlug und die Menschen ihrer Heimat beraubte – abgeführt ins Exil.

Kann man all dem etwas entgegensetzen? Wer wiegt das Schwergewicht aus Entsetzen und Missbrauch, aus Hass und Lüge auf? Es muss doch ein Gewicht geben, das dem Unrecht etwas entgegensetzt! Gibt es das?

Auflehnung gegen den Tod

Ostern tut das. Mein Leben lang will ich nicht darauf verzichten, dieses Fest zu feiern. Die Botschaft vom leeren Grab lehnt sich auf gegen das entmutigte Schulterzucken. Zuerst laufen sie weg, aber dann ereignet sich etwas im Leben der Jüngerinnen und Jünger. Sie erleben hautnah, dass Machtmissbrauch, Verrat und Tod nicht das letzte Wort behalten. Nie in der Geschichte behalten sie das letzte Wort! Diese Erfahrung schenkt neues Leben. Es ist diese Lebensbotschaft, die durch alle Zeiten hindurch wie eine Verheißung über denen steht, deren Lebensgeschichten von anderen Bildern verdunkelt werden. Eure Dunkelheit wird nicht ewig dauern! Aus der Enge, in die du getrieben bist, wird Gott dich befreien; er stellt deine Füße auf weiten Raum.

Die Passionsgeschichten der Welt reihen sich ein in die Leidensgeschichten der Bibel. Sie sprechen dieselbe Sprache. Die Ostergeschichte erhebt sich aus dem Buch der Bücher und beginnt zu sprechen. Heute! Sie spricht mitten hinein in die Lebensgeschichten unserer Zeit. Ich will sie nicht verpassen. Deshalb feiere ich Ostern. Ich brauche das.

Wollen wir gemeinsam feiern? Den ganzen Weg vom Dunkel ins Licht gehen wir in unseren Gottesdiensten in der Matthäuskirche: Gründonnerstag und Karfreitag und Ostern. Abends bei Tisch, zur „Sterbestunde“ oder frühmorgens bei Sonnenaufgang…
Wir brauchen das.

Ihr Pastor Marco Müller